Skip to main content

Datenerhebung bei Amazon in Winsen ist rechtmäßig

März 27, 2023
brown wooden shelf with books

Das Verwaltungsgericht (VG) Hannover hat mit Urteil vom 9. Februar 2023 (Az. 10 A 6199/20) entschieden, dass die Anwendung einer Software zur Aufzeichnung der einzelnen Arbeitsschritte der Beschäftigten durch Nutzung eines Handscanners in dem Logistikzentrum in Winsen (Luhe) von Amazon zulässig ist.

Der zugrunde liegende Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:

In dem Logistikzentrum Winsen werden die Handscanner benutzt, um bestimmte Arbeitsschritte minutengenau und fortlaufend aufzuzeichnen. Die so erhobenen Daten werden vorrangig zum Zweck der der Steuerung logistischer Prozesse ausgewertet. Die Daten werden jedoch zusätzlich als „Bewertungsgrundlagen für Qualifizierungsmaßnahmen sowie für Feedback und Personalentscheidungen“ genutzt. Gegen dieses Vorgehen leitete die niedersächsische Datenschutzbehörde ein datenschutzrechtliches Kontrollverfahren gegen Amazon ein und untersagte Amazon im Oktober 2020 diese Datenverarbeitung, da die ununterbrochene Erhebung der entsprechenden Leistungsdaten der Beschäftigten gegen Datenschutzrecht verstieße.

Gegen diese Entscheidung der niedersächsischen Datenschutzbehörde erhob Amazon erfolgreich Klage vor dem VG Hannover. Mit Urteil vom 9. Februar 2023 hat das Gericht Amazon Recht gegeben und den Bescheid der Datenschutzbehörde aufgehoben. Der Beschäftigtendatenschutz richte sich nach § 26 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), wonach personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigtenverhältnisses verarbeitet werden dürfen, wenn dies für die Durchführung des Beschäftigtenverhältnisses oder die Beendigung erforderlich sei. Die vorliegende Datenverarbeitung sei für jeden angegebenen Zweck („Steuerung der Logistikprozesse, Steuerung der Qualifizierung und Schaffung von Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback und Personalentscheidungen“) erforderlich. Auch nach Abwägung der Interessen Amazons mit dem Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter sei der Eingriff angemessen. Dafür sprach u.a., dass die Datenerhebung nicht heimlich durchgeführt werde, sondern die Beschäftigten darüber unterrichtet werden. Außerdem finde keine Verhaltenskontrolle, sondern „nur“ eine Leistungskontrolle statt. Hauptzweck der Datenerhebung sei dabei nicht die Überwachung der Beschäftigten, sondern die Steuerung der Logistikabläufe. Hinzu kommt, dass viele Beschäftigten die Möglichkeit eines objektiven Feedbacks und fairer Personalentscheidungen geschätzt würde (u.a. nach Aussagen des ehemaligen und des aktuellen Betriebsratsvorsitzenden).

Die Berufung gegen dieses Urteil wurde zugelassen. Für das Urteil liegt bisher lediglich die Pressemitteilung und noch keine schriftliche Urteilsbegründung vor.

Fazit:

Festzuhalten ist zunächst, dass er sich vorliegend um ein erstinstanzliches Urteil handelt, es bleibt abzuwarten, ob Berufung eingelegt wird. Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte ist nach wie vor der Ansicht, dass die Maßnahme gegen das Datenschutzrecht verstößt. Es ist darauf hinzuweisen, dass hier die Interessensabwägung zugunsten von Amazon dem konkreten Einzelfall geschuldet ist und stets die konkreten Umstände für solchen Maßnahmen gründlich und genau abzuwägen sind. Der Einsatz von Software, die eine permanente Überwachungsmöglichkeit schafft, ist daher in der Praxis weiterhin nur mit erheblichen Rechtsunsicherheiten durchführbar, selbst wenn der Einsatz der Software primär nicht der Überwachung, sondern anderen Zwecken dient. Denn eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn die Unternehmensinteressen das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter überwiegen. Diese Interessenabwägung ist jedoch nicht rechtssicher durchzuführen, so dass stets Risiken bei einer solchen Anwendung bleiben. Hinzukommt, dass solche Überwachungsthematiken sowohl den Bereich des Arbeitsrechts als auch den Bereich des Datenschutzrechts betreffen. Das Datenschutzrecht verlangt, dass die Datenverarbeitung in Bezug auf jeden Verarbeitungszweck – und nicht nur bezüglich „vorrangiger“ Zwecke – verhältnismäßig sein muss. Ein „vorrangiger“ Zweck der Datenverarbeitung kann „nachrangige“ Zwecke nicht rechtfertigen.

Allerdings muss – falls vorhanden – der Betriebsrat solchen Maßnahmen zustimmen, was das Risiko zumindest im Bereich des Datenschutzes etwas verringern kann, da Betriebsvereinbarungen datenschutzrechtliche Rechtsgrundlagen darstellen.

Viele Unternehmen möchten jedoch die Möglichkeiten moderner Technologie nutzen, um Betriebsabläufe effizienter zu gestalten oder ihr Unternehmen zu schützen. Dabei kommen verschiedene Intensitätsgrade der Überwachung in Betracht, je nachdem ob einzelne Arbeitsschritte aufgezeichnet oder nur bei ungewöhnlichem Verhalten Alarm geschlagen werden soll und ob die Maßnahmen fortlaufend oder punktuell stattfinden. Nach der Entscheidung des Gerichts kann auch ein Einsatz einer dauerhaft eingesetzten Software datenschutzrechtlich vertretbar sein. Es ist zu beachten, dass jeder Einzelfall einer individuellen Prüfung unterzogen werden muss.  Im vorliegenden Fall kommt es bei Amazon auf Schnelligkeit und Effizienz der Arbeitsabläufe an.

Unternehmen, die Maßnahmen zur Mitarbeiterüberwachung einsetzen wollen, sollten die Interessenabwägung gründlich und minuziös prüfen und dokumentieren sowie begleitende Sicherheitsmaßnahmen. Auch die Durchführung einer Datenschutz-Folgeabschätzung sollte erwogen werden, selbst wenn die Voraussetzungen zur gesetzlich verpflichteten Datenschutz-Folgeabschätzung nicht direkt vorliegen. Selbstverständlich sollten der Datenschutzbeauftragte und – falls vorhanden – der Betriebsrat einbezogen werden. Auch sollte über die Überwachung in Datenschutzhinweisen informiert werden, so dass die Mitarbeiter Kenntnis von den Maßnahmen haben und diese nicht heimlich erfolgen.

 

Rechtsanwältin Stephanie Kolb